Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach

ROMAN

 

 

Weiße Flecken scheint es auf der Erde nicht mehr wirklich zu geben, einerseits. Andererseits hat der Leser, wenn er diesen Roman gelesen hat, durchaus das Gefühl, mehr gesehen zu haben, als auf der Erde überhaupt Platz hat. Wie durch ein umgekehrtes Fernrohr geht der Blick auf die Horizonte, um sich anschließend liebevoll mit der Lupe all dem zuzuwenden, was einem so vor den Füßen liegt. Natürlich kann man von dem Geistlichen erzählen, der im Tabernakel des Benediktinerklosters Admont ein kleines, feines Rauschgiftdepot angelegt haben soll.Oder von der rumänischen Projektkünstlerin, die dabei ist, eine Serie mit Fotos von Kloteppichen zu machen, die sie einem deutschen Galeristen versprochen hat.

Die Wahrheit aber ist, dass dieses Buch in seiner Fülle nicht nacherzählbar sein will: Es ist bis oben hin voller Geschichten, die wie ein fröhlicher Tsunami über alle banalen Vorstellungen von Plot hinwegrollen. Der Leser liest und lacht und fühlt sich unterhalten wie lange nicht mehr.

 

Quelle: Homepage Verlag JUNG UND JUNG.

erschienen 2010 im Verlag
JUNG UND JUNG

 

 

ISBN: [978-3-902497-69-7]



REZENSIONEN

31.01.2011 - Literaturhaus.at - Ulrike Matzer

 

Im leicht verhatschten Schüttelreim und Zungenbrecherspruch, der den Titel gibt, ist es schon drin, jenes springinkerl- und spadifankerlhafte Hin-Her-Hin, das Erwin Einzingers Schreiben charakterisiert. Zwei in entgegengesetzte Richtung strebende Spitzen von Pfeilchen, in je ein farbig aquarelliertes Kringelgebilde eingeschrieben, was zusammen sich wie ein gesäumter Rorschachklecks über das Buchcover zieht, verbildlichen diese übermütigen Energien. Als signalisierte dieses vom Autor fabrizierte brillen- oder hantelartige Ding nicht bloß, dass eins aufs andere verweise, sondern auch, dass das Buch von vorne zu nehmen sei wie von hinten - was so abwegig nicht ist. Denn viel mehr als dass hier einer "beflissen wie ein Dienstmann" eine Geschichte erzählt, werden Formen und Formeln des Erzählens durchgespielt, wird man vom Hundertsten zum Tausendsten katapultiert, schieben sich Cliffhanger ineinander zu Schachtelgeschichten, wechseln Anekdoten mit Exkursen unterschiedlichster Art, fast wie in Tausendundeinernacht.

 

"Jedes Land hat sein Samarkand und sein Numancia", ist man versucht, dies salopp zu paraphrasieren - wird schließlich auch hier mir nichts, dir nichts eine zentralasiatische Großstadt mit einem europäischen Örtchen zusammengespannt. Anders aber als Peter Handkes im Gleichmaß wogender epischer Gang und Gesang durchs Sagenhafte der "Morawischen Nacht" lässt Einzinger es bisweilen gehörig rumpeln und krachen. Als leicht bizarrer Reiseroman hat das Buch auch etwas von einem Roadmovie an sich, insofern als die Personnagen in ihm - der Brumhumerlehner, August Strindberg, Weißbäuchlein, eine rumänische Projektkünstlerin u.v.a.m. - dem Autor als Vehikel oder Schinakel dienen, "eine fremde, seltsame Welt" zu kartieren, die atmosphärisch gelegentlich an Filme von David Lynch erinnert. Die weißen Flecken der Erde, von denen im Klappentext die Rede ist, erscheinen so gesehen mitunter bunt wie "gescheckte Fetzen", und das ebenso im Klappentext in Stellung gebrachte Fernrohr als ein umgekehrtes, das den Blick auf das Belanglose des Alltags richtet, reicht einem zugleich ein bildkräftiges französisches Verb an die Hand, um das das Deutsche ärmer ist: téléscoper nämlich, das etwas auf etwas auffahren, mit etwas zusammenstoßen lässt, Diverses sich ineinanderschieben, so zwar, dass es ordentlich grammeln kann. An téléscopages du sens, an Kalauern und Katachresen ist dieser Roman nicht arm, Konjuktionen aller Art schrauben alles Mögliche zusammen, Aperçus, Aberwitz und Antiwitz fahren dort und da dazwischen wie Jingles. "Leute, die ihm mit Geschichten kamen" werden vom Autor vor seinen Karren gespannt; mithilfe vermischter Meldungen und Zeitungsenten werden uns Überraschungseier gelegt oder Schnurren serviert, wie die miauender Nonnen, die einander zu beißen begannen.

 

Zugrunde liegt dem Opus mühselig analoges copy & paste, wie schon Einzingers Vorgängerroman "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik", einem kurzweilig zu lesenden Vademecum der Populärkultur und einer so keck wie virtuos zusammengehäkelten, fantastisch anmutenden Enzyklopädie. Von kinderatlashaftem Charme auch dieses Buch; neben wilden Bildern stößt man immer wieder auf stille Stellen, auf Haiku-artig hingepinselte Stimmungen, die einen einhalten lassen oder inne ("Da liegt ja Mehl auf den Feldern!"), und auf Dialektausdrücke, die einen glucksen machen vor Glück. Denn die Lektüre führt in ferne Weltstädte gerade so wie über die Hügellandschaft ob der Enns, und dementsprechend gehören Maultrommeln ins Inventar, Mostbirnen und mundartliche Wendungen, die oft nur mehr der Großelterngeneration geläufig sind und mit dieser womöglich zu Grabe gehen würden ("Hast dir eppan wehgetan?", "ein wengerl", "wigatzen", "Trittling", "geklupperlt", "Piperl", "Trenzer"). Ausdrücke, die mit Bedacht gesetzt, im jeweiligen Sinngefüge aber durchaus allen im germanophonen Sprachraum verständlich sein müssten. Und wo nicht: "Wen stört's?" - Wohl dichteten und schrieben auch Friedrich Achleitner, Franzobel und Kurt Palm jeweils mit den Spezifika des oberösterreichischen Dialekts; noch beiläufiger und unbekümmerter jedoch jongliert Erwin Einzinger mit diesem Idiom, allen Nivellierungstendenzen in Richtung eines deutschlandtauglichen Deutsch zum Trotz, und nicht von ungefähr erging dafür der H. C.-Artmann-Preis 2010 an ihn.

 

Letzterer wohl auch für den versteckt nistenden Witz, den sein leicht schräger Blick visiert. La vache qui rit, das lachende Rind, gibt denn auch ein wiederkehrendes Motiv: Im Sinn einer mise en abîme ist im Roman von einem "Von Dschlalabad nach Bad Schallerbach" betitelten Roman die Rede, von losen Blättern mit "narrativen Eskapaden" auch, wie es sich für einen Verzettler und Collagisten wohl eher geziemt. Ironie gegenüber sich selbst findet sich dort und da eingesprengt, feiner Spott gegenüber der eigenen Schreib- und früheren Lehrerexistenz. Zumindest in der Erinnerung der Rezensentin, die sich retroaktiv das Ihrige zusammenzimmert, glich Einzingers Deutsch- und Englischunterricht in nuce dem Parforceritt durch dieses Buch: Elastisch federte da einer durch die Klasse, unablässig, kreuz und quer, um nach aufstampfendem Stopp, Spannungspause und Krümmung des Oberkörpers wie mit gespannter Armbrust uns seine "Did you know that ...?"-G'schicht'ln hinzuschleudern - und uns anderswohin damit.


11.09.2010: NZZ Online - "Auf fliegenden Blättern" - Samuel Moser

Das Anordnen des Ungeordneten –ein neuer Roman und neue Lyrik des Österreichers Erwin Einzinger

 

Der 1955 in Kirchdorf geborene Schriftsteller und Übersetzer Erwin Einzinger ist nicht einer, der sich durch den Literaturbetrieb hetzen lässt. Seine Lyrik- und Erzählbände erscheinen in grossen Abständen. In seinen jüngsten Werken hat er einmal mehr ein Panorama der Welt in Splittern des Banalen geschaffen.

 

«Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik» hiess seine letzte Buchveröffentlichung vor fünf Jahren. Nun sind, 2009 und 2010, kurz hintereinander vom Österreicher Erwin Einzinger zwei Bücher verschiedener Gattungen erschienen: «Ein Messer aus Odessa», eine mit über hundert Titeln recht üppige Sammlung von Gedichten, und der ebenfalls umfangreiche, lose gebaute Roman mit dem lyrischen Titel «Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach». Wenn einer eine Reise tut, kann er was erzählen. Der Zusammenhang zwischen Reisen und Erzählen ist allerdings im Roman Einzingers alles andere als einfach. Der Klang des Titels legt schon den Verdacht nahe, seine Reise könnte einerseits distanzmässig völlig zusammenschrumpfen, andererseits, in der Gegenrotation des Erzählens, ins Unüberblickbare ausfransen. Als wäre das Erzählen dann erst das Reisen, von dem man aber nie wird erzählen können, weil auch dieses Erzählen wieder und immer wieder ein Reisen sein wird. So lustig wie ermüdend

 

«Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach» ist, wie es sich gehört, wenn's ums Reisen geht, ein ebenso lustiges wie ermüdendes Buch. Nie wird einem langweilig, aber dieses «nie» führt in seiner Repetition wiederum zur Eintönigkeit, ganz zwangsläufig und bewusst bei Einzinger. Des Merkwürdigen und Aussergewöhnlichen, von dem berichtet wird, ist so viel, dass man es sich wie das ganz Gewöhnliche gerade nicht merken kann. Das Einzelne ist zwar immer genau determiniert, überdeterminiert gar, aber im Ganzen des Teppichs bleibt es disparat und verschwindet.

Wo anfangen, wo aufhören; was festhalten, was auslassen? Die Figur der Fotografin, die die Kamera täglich zur Hand nimmt und wieder sinken lässt, wird zum Spiegelbild des Autors, der –gleichzeitig hungrig und übersättigt - seiner Rolle nicht mehr gerecht werden kann und will. Im Kapitel «Schreiben und träumen» meldet er sich kokett an - und zugleich ab: «Stellen Sie sich einiges von dem hier nur Angedeuteten insgeheim auch als eine Art von Bumerang vor: Es kehrt möglicherweise zurück! Freilich kann dabei der Eindruck entstehen, etliche der erwähnten Ereignisse neigten dazu, sich geradezu zu überstürzen. Andererseits: Mit der Beflissenheit eines Dienstmanns zu erzählen kommt natürlich erst recht nicht in Frage.»

Zusammenhalt bekommt Einzingers Roman durch eine schwache Chronologie, aber selbst die sorgt kaum für logisch kausale Abfolgen. Spürbar ist Zeit zumeist als Synchronie, in der die Dinge variabel, austauschbar und ubiquitär sind. Auf der Ebene der Darstellung werden Ding und Medium, ob es sich nun um Bilder oder Geschichten handelt, ununterscheidbar. Nur flüchtig zeichnen sich in Einzingers Roman Motive ab, schemenhaft werden skurrile Handlungsträger sichtbar wie Brumhumerlehner, der entlaufene Mönch von Admont (als «Suchtler» bezeichnet), eine Veterinärin, ein «Weissbäuchlein» genanntes Töchterchen oder eine Toilettenteppiche fotografierende rumänische Projektkünstlerin.

 

In der Tradition des Schelmenromans

 

Zum feinen Geflecht (oder Lügengeflecht?) gehören natürlich auch die Orte von Tadschikistan über Rumänien bis Rostock - aber sind es mehr als Namen? Zu Schauplätzen werden sie jedenfalls kaum, weil sie immer auch schon Geschichten sind, die wieder von Orten in Geschichten erzählen. So verrutscht alles, und der poetische Titel löst sich für die, die ihn aufgelöst haben müssen, ganz prosaisch auf: Nach Dschalalabad hat sich eine Eiskunstläuferin zurückgezogen, die in einem Körbchen Erinnerungsstücke aus ihrer Heimat aufbewahrt, darunter ein Foto des «Bad Schallerbacher Thermalbad-Chors». Allerdings, und da endet die Geschichte, oder da beginnt sie erst: Das Foto haben die Marder gefressen.

Erwin Einzingers Roman gehört in die Tradition der Schelmenromane. Auf «fliegenden» Blättern vagabundiert er wie auf einem fliegenden Teppich durch seine Stoffe. Episoden, Anekdoten, «faits divers», Mythen und Legenden fügen sich zu einer unsystematischen Enzyklopädie von Bagatellen –wenn denn nicht gerade dieser Begriff sein Gegenteil bestätigen würde: das Vorhandensein von Wesentlichem. Um dieses zu unterlaufen, bleibt Einzinger nichts anderes übrig, als seinen eigenen Roman immer wieder mit sich selbst kommentierenden Unterbrechungen in den Sand zu setzen. So erzählt er letztlich von einem Reisenden ganz anderer Art: von einem, der aufgebrochen ist, Schriftsteller zu werden. Auf seinem Weg gehört aber das vorliegende Buch bloss zu den vielen anderen «ebenfalls bald wieder abgebrochenen Anläufen».

 

Authentisch ist nur das Schreiben

 

Die einzige sichere Spur führt also zurück zum Spurensucher (auch davon berichtet der Roman in einer Anekdote). Auf ihr verschwindet Erwin Einzinger als Augenzeuge und tritt als Autor eines Textes hervor. Authentisch ist allein sein Schreiben, das er sich nicht anders als nomadisch vorstellen kann: immer «munter weiter», niemals zum Ziel führend und doch nicht unbegrenzt. «Folglich», so bittet der Autor den Leser um Verzeihung, «sind seine Vagabundereien . . . immer ein wenig bruchstückhaft und unvollständig, ein wenig zusammenhanglos und nicht abgerundet. Mehr gibt das Leben nicht her.»

Es scheint jedoch, dass das Gedicht für ein solches Leben doch die adäquatere Form sei. «Das Leben ist kein Roman», schreibt Einzinger in «Ein Messer aus Odessa». Also ist es ein Gedicht! Wenn aber das Leben schon ein Gedicht ist, wozu dann noch Gedichte schreiben? Noch radikaler als im Roman beschränkt Einzinger in der Lyrik seine Rolle als Autor auf das blosse Anordnen des Ungeordneten. Seine Gedichte gleichen mittelalterlichen Gemälden, auf denen die Dinge ohne Raumperspektive bloss auf einer Fläche verteilt sind. Einzingers Lyrik ist nicht «minimal art», aber sie kommt mit wenig lyrischem Aufwand aus. Sie ist auch nicht «trash», aber die monoton geformten Strophen gleichen doch Halden, auf denen sich ansammelt, was abfällt vom Brauchbaren und Mitteilenswerten. Nur ist vielleicht dieser «Schutt, den die Tage anhäufen» (so eine Gedichtüberschreibung), schon wieder neues Baumaterial.

Nicht der Autor entscheidet über Rang und Namen der Dinge und über das, was sie zu erzählen haben (ein Messer «aus Odessa» zum Beispiel); das müssen sie selber tun. Der Autor beherbergt sie nur in seinen Strophen, lagert oder besser: löscht sie, so wie man die Ladung eines Schiffes löscht, um es zu entlasten, um es (um sich!) vom Tiefgang zu befreien. Schwerwiegende Themen, metaphysische Fragen und grosse Gefühle gibt es bei Einzinger nicht. Er verdichtet nicht, er dehnt und dünnt aus. Seine lyrische Kunst ist die Kunst, die Dinge ungereimt und ungedeutet zu lassen. Alles steht für alles –und also nichts für nichts: «Friede den Schachteln & dem Entengemüse!»

 

Gelassenheit und Langmut

 

Wie im Roman mischen sich auch in Erwin Einzingers Gedichten Erregung und Indifferenz, Geschwätzigkeit und Schweigen. Fast liesse sich von Gelassenheit und Langmut sprechen. Ein Glückssuchender ist er dennoch. Auf das Glück kann man zwar nicht setzen, aber irgendeinmal kann man es vielleicht doch «haben» –wie im Spiel: «Plötzlich werden simple Einsichten zum Geschenk, mit dem / Nie zu rechnen war.» Zumeist aber, vielleicht als kleinerer Bruder und Vorbote des Glücks, zeigt sich in Einzingers Gedichten erst einmal die unfreiwillige Komik der Welt: «Wir sehen Felipe, einen im grossen & ganzen arg gescheiterten Comic- / Zeichner, wie er am Gemüsestand zwei knackige Salatköpfe / in eine mit einem kleinen Beitrag über Intimrasur bedruckte Zeitungs- / Seite wickelt. Was kratzt ihn? Wo drückt ihn der Schuh?»


25.08.2010 - OÖ Nachrichten - "Surfen auf der Einbildungskraft" - Christian Schacherreiter

Die Prosa des oberösterreichischen Schriftstellers Erwin Einzinger entzieht sich allen gängigen Zuordnungen. „Sprachexperimentell“wäre das falsche Etikett, aber mit dem derzeit so erfolgreichen Erzählrealismus hat er auch nicht allzu viel gemein. Einzinger ist - naja, Einzinger eben. Und das ist gut so!

 

Erwin Einzingers jüngster „Roman“ heißt „Von Dschalalabad bis Bad Schallerbach“, und der Reiz des Gleichklangs dieser a-hältigen Ortsnamen mag zur Titelwahl beigetragen haben. Aber wie gesagt, ein experimentierender Nachahmungstäter jener Avantgarde, die uns das Erzählen verweigert, ist Erwin Einzinger nicht. Ganz im Gegenteil. Er erzählt drauflos, dass sich beim Leser die Brillengläser biegen. Er legt seine Geschichten aus wie Mosaiksteine und kümmert sich nicht um deren korrekte Anordnung. Eine stringente Handlung, die man nacherzählen könnte, entsteht auf diese Weise natürlich nicht. Aber darum geht es nicht.

Wer Einzingers Roman mit geistigem Gewinn und irdischem Vergnügen lesen will, muss sich auf den Einzeltext einlassen, auf die Prosaminiatur, auf ihre Präzision, ihre Skurrilität, ihre stilistische Eleganz.

Da hält sich zum Beispiel ein Jurist im Büro einen Leguan, der zwischen Computerkabeln und Aktenordnern schläft und nur aufschreckt, wenn die praktizierende Maturantin die Jalousien wieder einmal ungebremst niedersausen lässt. Erzählt wird auch von rumänischen Straßenkindern, die in der Kanalisation größerer Städte überleben, von einem peruanischen Wunderheiler, von gerösteten Hasenherzen, die in der kirgisischen Steppe zubereitet werden - und von vielen, vielen anderen Dingen. Wir sind ja lange unterwegs: von Dschalalabad bis Bad Schallerbach.

Wenn auch kein roter Faden durch dieses Buch führt, so würde ich doch empfehlen, es von vorne bis hinten zu lesen - und nicht umgekehrt. So nach und nach werden ja in der Fülle des Gebotenen doch thematische Schwerpunkte und motivische Verbindungen erkennbar, zum Beispiel zwischen der oberösterreichischen Tierärztin, deren Tochter auf Rumänienreise ist und von dort eine Ansichtskarte an ihre Tante in Dschalalabad (Afghanistan) schickt. Die Tante, eine ehemalige Eiskunstläuferin, war übrigens im Besitz eines Fotos, auf dem der Bad Schallerbacher Thermal Chor zu bewundern war, nicht akustisch, aber optisch.

 

Verknäult und verwickelt

 

So surft man, getragen von Einzingers Einbildungskraft, vergnüglich um die Welt. Germanisten freuen sich, weil sie an die Romantheorie der Frühromantik denken, an Friedrich Schlegels selbstbewusstes Diktum, dass der Roman grenzenlos sei und ein Universum hervorbringen könne. Aber das treffendste poetologische Fundament für sein Unterfangen liefert der Autor selbst. „Spätestens an dieser Stelle“, teilt er uns auf Seite 158 mit, „sollte sich (…) das bisher Erzählte schon gehörig verknäult oder zumindest so sehr verwickelt haben, dass sich auch mancherlei Abstruses hineinschwindeln ließe.“Einzinger kann beruhigt sein, es hat sich gehörig verknäult und verwickelt.


04.08.2010 - Falter - "Über das Fotografieren von Kloteppichen" -  Sebastian Fasthuber

Falter Wien, Ausgabe 31/10; 4.8.2010; Seite 25

 

Indem er sich „Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach“ assoziiert, unterhält Erwin Einzinger sich selbst und die Leser. Mein Verleger Jochen Jung sagt immer: Du musst eine Straße bahnen, die man weitergehen will. “Sagt der aus Kirchdorf an der Krems gebürtige Erzähler und Lyriker Erwin Einzinger (Jahrgang 1953). Das nämlich sei „das größte Problem bei meinen Schreibabenteuern: Oft geht der Text den Weg, den man überhaupt nicht erwartet. “Was der Verleger als Rezeptionshürde antizipiert, ist aber auch genau das, was den Reiz von Einzingers erzählerischen Expeditionen ausmacht. Wenn er am Schreibtisch losfährt, hat er weder ein Ziel vor Augen noch Landkarten im Gepäck. Dafür verfügt er über eine seltene Beobachtungsgabe, die mit Vorliebe das Ungewöhnliche, Überraschende, ja oft schlichtweg Bizarre ins Visier nimmt. Viele Anekdoten und Episoden in seinen Büchern wirken wie frei erfunden; meistens sind es jene, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Fünf Jahre nach dem monumentalen Popkultur-Brevier „Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik“ legt der Oberösterreicher jetzt mit „Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach“ einen neuen, beinahe 500 Seiten starken Schmöker mit einem dichten Gestrüpp aus Figuren und merkwürdigen Begebenheiten vor. Zuallererst wirft dieser Text zwei Fragen auf: Wie soll man das lesen? Und: Worum geht’s eigentlich? Beide sind recht schnell beantwortet. Erstens: Lesen tut man das Buch am besten kreuz und quer und ohne jede Rücksicht auf Chronologie. Zweitens: Eine Handlung gibt es nämlich nicht. Dabei ist das Kontinente umspannende Panorama, das Einzinger vor dem Leser aufspannt, keineswegs ereignislos, ganz im Gegenteil: Ein drogensüchtiger Mönch entflieht aus seinem Stift und wird zum Tramp; ein anderer Geistlicher - einer von zweien in Österreich, die über den Flugschein verfügen - stürzt mit seiner Maschine ab; ein japanischer Pilzforscher schaut sich in der österreichischen Provinz um; eine rumänische Künstlerin hat sich auf das Fotografieren von Kloteppichen spezialisiert. Es kann natürlich passieren, dass man sich in diesem behelfsmäßig als Roman bezeichneten Buch verloren fühlt. Davor darf man sich aber nicht bange machen lassen und soll stattdessen dieses Gefühl pflegen und genießen. Wird es einem bei aller Leicht- und Kunstfertigkeit der Sprache unterwegs doch auch einmal gar zu kauzig, muss man kein schlechtes Gewissen haben und darf ruhig ein paar Absätze überspringen. Bei der Lektüre gewinnt man den Eindruck, dass sich hier jemand in erster Linie selbst gut unterhalten will - was heute schnell als eigenbrötlerisch abgetan wird. Vielleicht besteht hierin jedoch sogar die edelste Form von Literatur, frei und ohne Rücksicht auf Erwartungshaltungen der Leser und des Betriebs verfasst. Außerdem gilt: Unterhält sich Erwin Einzinger gut, trifft dies in der Regel auch auf den Leser zu. Wer eine Lesung des Autors besucht, wird ihn als munter drauflos assoziierenden Entertainer kennenlernen, der seinen Text in freier Rede noch entschieden weiterspinnt. „Von Dschalalbad bis Bad Schallerbach“ muss zwar, wie schon die „Unterhaltungsmusik“, als Buch eine erste und eine letzte Seite haben. In Wahrheit kennt diese Form des Erzählens aber keinen Anfang und kein Ende.„Stellen Sie sich einiges von dem hier nur Angedeuteten insgeheim auch als eine Art von Bumerang vor“, versteckt Einzinger en passant sein poetologisches Programm. „Es kehrt möglicherweise zurück!“ Ein schönes Bild für das Grundübel der heutigen Literaturproduktion hat Einzinger auch noch parat, wenn er vom Autor als Dienstleister spricht. Auf Seite 56 noch fragt er kokett: „Wird es nun nicht langsam Zeit, das Erzählvorhaben ein wenig in Schwung zu bringen (...)?“ Auf Seite 322 heißt es, ungewohnt bestimmt: „Mit der Beflissenheit eines Dienstmanns zu erzählen kommt natürlich erst recht nicht infrage. “Das Gute: Je fader der durchschnittliche Dienstleistungsroman, desto mehr Zulauf erhalten Freaks wie Erwin Einzinger.


17.07.2010 - Die Presse - "Karawane am Hausruck" - Wolfgang Straub

Die Presse; Print Ausgabe  17.7.2010

 

Sprunghaft: Erwin Einzingers assoziatives Erzählen.

 

Die Assoziation ist das Wesen aller Dinge. “Diese Sentenz, die der böhmisch-kanadische Autor Josef Škvorecký dem Erzähler seines Romans „Der Seeleningenieur“in den Mund legt, könnte Leitgedanke des neuen Romans von Erwin Einzinger gewesen sein. Die Technik, ein Thema assoziativ, schwadronierend, ab- und ausschweifend zu öffnen, hat sich Einzinger für sein panoramatisches Buch „Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik“ erschrieben. Fünf Jahre später begegnet uns wieder ein großes Sprachding, von dem ebenso schwer zu sagen ist, was es ist. Man kann sich diese müßige Frage natürlich auch ersparen und sich dem fährtensuchenden, zugleich sprunghaften Erzähler anvertrauen.

 

Anders als bei der „Unterhaltungsmusik“ fehlt diesmal die thematische Klammer, kein Programm leitet diese „narrativen Eskapaden“, diese „etwas bizarr anmutende Arbeit“ (Einzinger). Die Assoziationsketten orientieren sich an einigen Strängen, wobei das Reisen, Unterwegssein, Vagabundieren dominieren und Topografien Verknüpfungen herstellen. Die Einzelteile zwischen Dschalalabad und Rumänien, zwischen Bad Schallerbach und Simbabwe scheinen wie durch Myzelien miteinander verbunden. Man versteht und erkennt nicht jede Verbindung, vermeint aber stets, es mit einem organischen Ganzen zu tun zu haben. Diese Wahrnehmung liegt sicher zu einem Gutteil in Einzingers dichten Bild- und Sprachverknüpfungen begründet, nicht umsonst beweist sich der Autor seit geraumer Zeit als Lyriker von Rang.

Einzinger hat keinen Roman geschrieben (auch wenn das draufsteht), keine stringente Erzählung. Das heißt aber nicht, dass nichts „passiert“. Ganz im Gegenteil: Es geht etwa um Liebe, um Mutterschaft oder um hinterlegte Kinder, die „Gegebenheiten“, wie der Autor seine kleinen narrativen Einheiten nennt, werden aber nicht ausgewalzt, sie gleiten vorüber. So entsteht in den Beobachtungen, in den mit wissenschaftlichem Jargon spielenden Passagen en passant eine Art Kulturanthropologie, hier ist nichts weniger als ein Forschen nach der Conditio humana, mitunter nach der Conditio Austriae am Werk.

 

Umschlagplatz für Erzählungen

 

Und zugleich hat man es mit einer Suche nach Möglichkeiten des Erzählens und seiner heutigen Wertigkeit zu tun – vor dem Hintergrund von Bildern beziehungsweise Imitaten der alten Erzähltraditionen und Erzählräume. Einzinger inszeniert sein Unternehmen als eine Karawanserei, als einen Umschlagplatz für Erzählungen, für Erzählpartikel, die aus ganz Alltäglichem oder Erfunden-Aufgefundenem bestehen können.

Man will und kann den Wegen dieser Schreibkarawane nicht immer gleich gespannt folgen, man mag die Kultivierung so mancher Kauzigkeit wie die Pflege fetter Komposita („Handarbeitsfibelmaterialzusammen- stellerin“) oder die stellenweise geballte Vagheit in Absätzen voller „angeblich“, „in etwa“ und „ziemlich“ unterschiedlich beurteilen, das tut dem Genuss an diesem Buch aber keinen Abbruch. Denn Einzinger verschafft dem Leser größtmögliche Autonomie: Welchen Weg vom Hindukusch an den Hausruck man nimmt, ob man Unterbrechungen einlegt, Ballast abwirft oder Gepäck durch Mehrfachlektüren aufnimmt, bleibt einem selbst überlassen.


10.06.2010 - buchkultur.net - "sorgfältig verknäuelt" - Evelyne Polt-Heinzl

 

www.buchkultur.net

 

Die Literaturkritik beachtet Erwin Einzinger kaum. Ein großer Fehler, wie Evelyne Polt-Heinzl meint und mit seinem neuen Roman belegt.

 

Bei der Leserschaft hat Erwin Einzinger eine wachsende Fangemeinde, die Literaturkritik hingegen bleibt diesem Autor die nötige Aufmerksamkeit oft schuldig; sie fordert gern Welthaltigkeit ein und übersieht dann leicht unorthodoxe Konzepte, die das Globale und das Provinzielle zusammenführen. Einzingers neuer Roman kündigt dieses Programm schon im Titel an: „Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach“. Wer geografisch nicht so firm ist, kann die Lektüre mit dem zehnten und letzten Abschnitt des Buches beginnen: Dschalalabad ist die Hauptstadt der Provinz Nangarhar und liegt zwischen Kabul und Peschawar. Hier soll ein ehemals bekanntes Eiskunstlaufpaar ein Informationsbüro für Trekking-Touristen betreiben und hier sehen wir den Erzähler als einen der vielen Reisenden des Buches mit einer Kamel- Karawane durch die Landschaft schaukeln. Bad Schallerbach hingegen liegt in Oberösterreich, scheint über einen Thermalbad-Chor zu verfügen, und eigentlich könnte man tatsächlich vom nicht allzu weit entfernten Timelkam  - anagrammatisch geschüttelt - „mit Kamel“ durch die Hügellandschaft des Hausruckviertels nach Bad Schallerbach reisen. Die so fein zusammenklingenden Ortsnamen des Titels geben nur eine vage Ahnung von der geografischen Ausdehnung aller Reisetätigkeiten der vielen Romanfiguren. Manche verlieren sich rasch wieder, wie der Pilzforscher aus Hokkaido vom Romanauftakt, anderen begegnen wir immer wieder und manchmal begegnen sie auch einander, wie der aus der geistlichen Gemeinschaft im Kloster Admont geflüchtete Brumhumerlehner, der quer durch Österreich ins Norddeutsche hinauf trampt. Er sucht die Spuren Strindbergs im Salzkammergut, lernt die Veterinärärztin aus dem oberösterreichischen Alpenvorland kennen, deren Tochter samt Hund Asfinag in Rumänien unterwegs ist. Späterhin dann tut sich Brumhumerlehner mit der rumänischen Projektkünstlerin zusammen, die in ganz Europa Kloteppiche fotografiert, während seine alte Tante Helli vergleichsweise stationär im Mühlviertel lebt und die vietnamesische Neurologin Thu Huong von Thüringen nach Rostock übersiedelt. Alle diese Figuren und ihre Erlebnisse wirken im Romangeflecht wie lose Fäden, deren Enden bei genauerem Hinsehen zwar locker, aber sorgfältig ineinander verknäuelt sind. Der mit ihnen durch die Länder und Landschaften schweifende Blick ebnet dem Autor die Erzählwege zu den ganz normalen Verhaltensauffälligkeiten der Menschen hier wie dort, ihren Abgründen und Besonderheiten, dem ewig Gleichen und der unglaublichen Fülle von Dingen und Ereignissen. Wir erfahren, wie die Traumindustrie in Transsilvanien Einzug hält, wie im Jahr 1481 der Transport des Michael-Pacher- Altars von Bruneck nach St. Wolfgang vor sich ging, dass es eine Schütteltrauma-Kapelle gibt oder was auf den beiden Bildern über die künstlerische Inspiration von Nicolas Poussin zu sehen ist: Der lyrische Dichter trägt blaue Sandalen, kniet und trinkt verzückt, mit ausgebreiteten Armen aus einer dargereichten goldenen Schale; der epische Dichter aber „ist barfuß, trinkt nicht, sondern schreibt“. Einzinger tut das, „ohne auf die symbolische Tube zu drücken oder die Gegebenheiten möglichst cremig ineinander gleiten zu lassen“. An den Rändern der Episoden, an ihren klaffenden Bruchstellen wird sozusagen das pralle Leben hier wie dort, einst wie jetzt in seiner ganzen wilden (Un-)ordnung sichtbar. Unermüdlich und mit sparsamen Bewegungen stichelt der Autor am Netzgewebe seiner Erzählstricke herum, an denen sich Fallgeschichten und Lebensberichte, die kleinen Alltäglichkeiten und die großen Ereignisse kristallartig anlagern, um sich sogleich wieder zu verflüchtigen, denn seilen sich nicht auch die großen Momente „lautlos ab und versickern in der Schnörkellosigkeit“? Das ist so tröstlich wie traurig, und es ist genau die Tonlage, mit der Einzingers Beobachtungspartikel stets vor jedem Zuviel wie Zuwenig warnen, sei es Hochmut, Selbstüberschätzung, Trauer oder Verzweiflung. Was ist schon das Besondere im Leben wie in der Welt, wo letztlich doch „ein jeder von uns über einem Rätsel brütet, zu dessen Lösung ihm weder junges Glück noch irgend sonst was verhelfen kann“. Üblicherweise, so heißt es an einer Stelle, verfahren „die Herren Erzähler“ wie jemand, „der in einem finsteren Gebäude mit der Taschenlampe herumstreift, wer ist dann wohl zuständig für all das, was weitgehend im Dunkel bleibt, aber deswegen natürlich nicht weniger vorhanden ist?“ Genau davon aber handeln Einzingers Erzählwelten.

 

Fazit: Eine unglaubliche Fülle von Dingen und Ereignissen, erzählerisch locker, aber sorgfältig miteinander verwoben.


31.05.2010 - Titel-Magazin - "Was das Leben & Lesen so hergibt" - Wolfram Schütte

www.titel-magazin.de; 31..5.2010;

 

WOLFRAM SCHÜTTE über Erwin Einzingers wunderliches literarisches Kaleidoskop "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach".

 

Etwas nach der Buchmitte, zu der ein Leser gelangt ist, der sich nicht von dem scheinbaren Wildwuchs kleinteiliger Erzählstücke hat irritieren lassen, trifft man in Erwin Einzingers Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach auf das Kapitel „Kranke Blätter“, wie der Autor „einst ein Tagebuch nannte“, das er nach eineinhalb Jahren abbrach. Er fährt nach dieser Mitteilung fort: „Ein anderer, ebenfalls wieder abgebrochener Anlauf, in welchem es über Länder und Kontinente, über Berge und durch Täler voller wild durcheinandergeschüttelter Einzelheiten aus dem Leben verschiedener Leute ging, von denen sich manche nur so durch den Tag treiben ließen, hieß seltsamerweise >Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach< und sollte unter anderem von der Reise eines jungen Menschen aus dem fernen Afghanistan durch Steppen und Wüsten bis in die Türkei und weiter nach Europa erzählen. Auch Kamele kamen vor.“ Als gerade involvierter Leser des gleichnamigen Romans mit dem geografisch kalauernden, seltsamen Titel könnte man dieser Inhaltsbeschreibung durchaus zustimmen & hinzufügen, dass Erwin Einzinger den sogenannten „Anlauf“ offenbar doch nicht abgebrochen, sondern nach 465 Seiten mit dem Bild eines schweigsamen Kameltreibers abgeschlossen hat, der den „wolligen Höcker“ eines dieser Lasttiere „krault“. Allerdings befinden sich die Reisenden dieser Kamelkarawane von Europa über die Türkei auf dem Weg nach Afghanistan. Aber spielt das denn eine Rolle - in einem Buch bestehend aus zehn Teilen mit an die 150 Kurzkapiteln & dessen erstes Motto aus Jean Pauls Kampaner Tal stammt & lautet: „... in den Gehirnhöhlen der Entenpfuhl ...“- what ever that means?

Zwar „spielt“ das Buch u. v. a. in Japan und Siebenbürgen, in den Pyrenäen und den Karpaten, im Burgenland und England, in Rostock und in Taschkent, im Kaukasus und im Steiermärkischen Kloster Admont - aber ob man deshalb in dem 1953 geborenen österreichischen Autor einen welterfahrenen Reiseschriftsteller vermuten soll, sei dahin gestellt. Eher kann man sich mit dem Gedanken anfreunden, dieser Erwin Einzinger sei einer aus der Gilde jener Imaginationskrösusse, deren deutscher Stammvater der von ihm zitierte „hinterwäldlerische“ Oberfranke war, der in seinem Titan den Lago Maggiore & in ihm die Isola Bella derart sprachmächtig beschworen hat, dass man annehmen musste, er selbst habe sie besucht & mit eigenen Augen gesehen. Dabei hatte er sie sich nur aus Kupferstichen herbeifantasiert. Ähnlich dürfte sein österreichischer Nachfahre die Rohstoffe seiner Weltreisen „von Dschalalabad nach Bad Schallerbach“ aus zweiter Hand empfangen und sie dank seiner Vorstellungskraft zum Fleckerlteppich seines Romans verwoben haben.

 

`Roman` ist gut gesagt!

 

Inkohärenter dürfte bisher kaum eine längere Prosaarbeit dahergekommen sein, die Anspruch auf das moderne Genre einer episch-kohärenten Erzählung erhoben hat. Ein paar wiederkehrende Themen oder Motive - zu denen auch die von Einzinger erwähnten Kamele gehören, ein Zirkus & ein Auto des Arbeitersamariterbunds oder das von zwei jungen Frauen verfolgte Fotoprojekt, Teppiche in Klos aufzustöbern & zu fotografieren - stiften einen ebenso losen wie überraschenden, zugleich geheimnisvollen wie (erzählerisch) irrelevanten Zusammenhang unter den vielen mitgeteilten seltsamen Erzählungen, absonderlichen Kuriositäten & verstrubbelten Abenteuern.

Von Peter Handke, den Einzinger nur anonym, nämlich als „einen Mann, der in fünf ausgedehnten Wanderungen ganz Spanien zu Fuß durchquert und darüber poetische Reiseberichte verfasst hat“, einmal zu Wort kommen lässt, borgt er sich die narrative Poetik seiner literarischen Exkursionen in die weite & nächste Welt. Der Erzähler als „Vagabund (...) ist zwar ein Mensch guten Willens, aber seine Zeit ist begrenzt und seine Mittel desgleichen. Folglich sind seine Vagabundereien (...) immer ein wenig bruchstückhaft und unvollständig, ein wenig zusammenhanglos und nicht abgerundet. Mehr gibt das Leben nicht her“, schreibt Handke.

Einem Humoristen wie Erwin Einzinger, der an einer anderen Stelle dem geistesverwandten, heute fast ganz vergessenen Richard Brautigan, dem Hippie-Avantgardisten von Forellenfischen in Amerika, einen kleinen Erinnerungsaltar errichtet, „gibt das Leben“ jedoch eine Fülle von Erzählstoffen und Charakteren preis, die er - wie ein märchenhafter Weihnachtsmann seinen Sack voller Geschenke - vor uns staunenden Lesern immer aufs Neue verschwenderisch ausbreitet, so dass wir zum Beispiel zwei fliegenden Mönchen begegnen, einem Japaner auf der Suche nach Strindberg oder Ceausescus Doppelgängern.

Der besondere Reiz von Erwin Einzingers romanesker Vagabondage "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach" besteht aber darin, dass er die Erzählungen, Anekdoten & Faits divers „gehörig verknäult und so sehr verwickelt hat, dass sich auch mancherlei Abstruses hineinschwindeln ließ“, worüber wir Leser so ins Grübeln geraten können, wie die Zeitgenossen des Marco Polo über seine Reiseberichte ins Staunen.

Das literarische Kaleidoskop, das der österreichische Erzähler sich dadurch erdreht & erschüttelt hat, steckt also voller Zeichen & Wunder, die uns sein einbildungsstarker Autor ganz nahe vor die Augen stellt - als wären es Erinnerungen, die er unserem Gedächtnis abgerufen hat. Das ist wahrlich: ein starkes Stück!


02.05.2010 - oe1.orf.at - Barbara Denscher

Quelle: oe1.orf.at; 02.05.2010

 

Mit welcher Art von literarischem Text man es hier zu tun hat, darüber sollte es wohl keine Zweifel geben - so denkt man, wenn man Erwin Einzingers neues Buch zum ersten Mal zur Hand nimmt, denn auf dem Umschlag steht als Gattungsbezeichnung klar und deutlich: Roman.

Schon beim Durchblättern wird klar, dass mit jenen Erwartungen, die üblicherweise an einen Roman gestellt werden, diesem Text nicht beizukommen ist - erweist sich doch der rund 470 Seiten starke Band als eine Sammlung von Kurztexten. Viele von ihnen haben den Charakter knapper Erzählungen, manche wirken anekdotisch, andere wieder wie Exzerpte aus wissenschaftlichen Werken; und mottoartig, als Zwischenüberschriften, finden sich Literatur-Zitate, unter anderem von Kafka, Strindberg, Peter Esterházy und Andrej Bitow. Also keine durchgehenden Erzählstränge, keine dominierenden Protagonisten. Sehr wohl aber jener vom Romangenre geforderte Zugriff auf das Leben in seiner ganzen Totalität, denn berichtet wird von einer Vielzahl von Personen und Begebenheiten.

 

Reisen kreuz und quer

 

Das zentrale Thema ist das Unterwegssein, das Reisen. Da trifft man auf einen Wissenschaftler aus Japan, der in Oberösterreich und Nordböhmen den Spuren des Mystikers Emanuel Swedenborg, des Schriftstellers August Strindberg und des Sprachphilosophen Fritz Mauthner folgt. Ein junger Mann aus Aserbaidschan macht sich mit dem Fahrrad auf den Weg nach Europa, um, wie es heißt, "Kathedralen und Museen zu beschauen und reiche Länder und Leute kennenzulernen". Ein deutsches Fernsehteam ist in Simbabwe auf der Suche nach dem "sagenhaften Goldland von König Salomo", während zwei junge Frauen aus Oberösterreich die Dörfer der rumänischen Karpaten erkunden. Andere Reisende wiederum sind in der Schweiz unterwegs ... oder in Usbekistan, in Italien oder in der Ukraine. Der Buchtitel "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach" ist damit nicht nur - wie es auf den ersten Blick scheinen mag - ein recht simpler Kalauer: die Stadt in Afghanistan und die Marktgemeinde in Oberösterreich sind geografischen Markierungspunkte, zwischen denen sich Schicksale vollziehen, die trotz aller Verschiedenheit doch auch Gleichklänge und manchmal überraschende Verbindungslinien aufweisen.

 

Beleuchten, was im Dunkel ist

 

Die Menschen, die hier unterwegs sind, scheinen auf ihren Fahrten eine Vielzahl von Informationen, Daten und Fakten zusammengetragen zu haben, die nun jenes kuriose Sammelsurium ausmachen, das dem Werk das spezielle Gepräge gibt. Zu erfahren ist da etwa, dass es in Österreich zwei Mönche mit Pilotenschein gibt; dass sich die Bezeichnung "Glückspilz" vermutlich von der halluzinogenen und euphorisierenden Wirkung des Fliegenpilzes ableitet; dass Hexen bevorzugt auf Ginsterbesen reiten; und dass der weltgrößte Handyerzeuger in Rumänien von extrem schlecht bezahlten Arbeitskräften Billigstgeräte für Afrika erzeugen lässt. Erlauben zu fragen: Wenn die Herren Erzähler üblicherweise gern diejenigen sind, welche nach eigenem Gutdünken die Aufmerksamkeit der stillen Leserin recht kühn von hier nach dort lenken und dabei nicht selten verfahren wie jemand, der in einem finsteren Gebäude mit der Taschenlampe umherstreift, wer ist dann wohl zuständig für all das, was weitgehend im Dunkel bleibt, aber deswegen natürlich nicht weniger vorhanden ist? Mit dieser Zwischenfrage meldet sich neben den vielen Erzählern, die es in Erwin Einzingers Text gibt, noch ein weiterer zur Wort, und er liefert mit seiner Anmerkung einen Hinweis darauf, wie mit dem Text umzugehen sei: nämlich all das, was im Dunkel bleibt, selbst auszuleuchten - und sich so einen ganz eigenen Roman zu bauen. Und es ist durchaus schlüssig, dass eine jener historischen Bezugspersonen, die Einzinger in seinem Buch nennt, Hans Jürgen von der Wense ist. Der 1966 verstorbene deutsche Schriftsteller legte riesige Materialsammlungen an - mit den, wie er es einmal formulierte, "erlesensten, erpichtesten Stücken aus allen Zeiten und Zonen", die als Ausgangsmaterial für die unterschiedlichsten Romanprojekte dienten.

 

Entfalungsmöglichkeiten für Phantasie

 

Einzinger verfährt ähnlich: Er stellt Roman-Material bereit. Und genau das macht die Faszination seines Buches aus: dass es eine Vielzahl von Anregungen für eigenes Weiterrecherchieren und eigenes Weiterfantasieren liefert. Darauf verweist auch jenes Zitat von Heinrich von Kleist, das Einzinger seinem Buch vorangestellt hat: Die Romane haben unsern Sinn verdorben. Denn durch sie hat das Heilige aufgehört, heilig zu sein, und das reinste, menschlichste, einfältigste Glück ist zu einer bloßen Träumerei herabgewürdigt worden. So schrieb Kleist 1801 an seine Verlobte Wilhemine von Zenge. Es ging ihm damals nicht um romantheoretische Überlegungen, sondern um Privates, um den eventuellen Kauf eines Bauernhauses, um ein Leben in der Natur. All dies aber war, so Kleists Formulierung "trocken hingeschrieben" - eben nicht so wie in den gängigen Romanen - weil, so Kleist, er "die Fantasie nicht bestechen wolle". Auch Erwin Einzinger will mit seinem Werk die Fantasie der Leser nicht bestechen,


1.4.2010 - Pinzgauer Nachrichten - "Nach Bad Schallerbach"

 

Quelle: Pinzgauer Nachrichten / Fiktion&Fantasie: 1.4.2010

 

Von einer skurril anmutenden Schleudertraumakapelle im Oberösterreichischen bis zur Flüchtlingsberaterin auf dem Sporaden-Eiland Chios spannt Erwin Einzinger den Bogen

seines als Roman deklarierten Texts "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach"

(Jung und Jung 24€). Erzählt wird keine Geschichte, vielmehr legt der 1953 in Kirchdorf

an der Krems geborene Autor eine Aneinanderreihung von anekdotischen Moment-

aufnahmen und originellen Alltagsgeschichten vor.

Prädikat: lesenswert.


14.03.2010 - Süddeutsche Zeitung - "Mönche mit Pilotenschein" - Karl-Markus Gauß

 

Süddeutsche Zeitung; 14..3.2010; Seite 14

 

Erwin Einzinger reist von Dschalalabad bis Bad Schallerbach.

 

Worum es in diesem Buch geht? Keine Ahnung. Aber ich vermute: um nicht viel weniger als alles. Erwin Einzinger, der in Österreich den literarischen Pop zu Ehren brachte, als der Pop noch geholfen hat, ist als erzählender Lyriker und einfallsreicher Erzähler bei seiner Sache geblieben: Er nimmt die Wirklichkeit stets so, als wäre sie eben erst erfunden und in noch unfertigem Zustand der staunenden Menschheit übergeben worden; und umgekehrt berichtet er von den skurrilsten Erfindungen, Phantastereien und Gedankenspielen, als handelte es sich dabei um nichts als die Wahrheit. Die Wahrheit, wie sie im Buche steht. Der neue Roman des 1953 geborenen Autors spannt schon im Titel - „Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach” - den Bogen von der Grenzstadt im Osten Afghanistans zur Thermenstadt in Oberösterreich westlich von Linz. Zwischen diese beiden Orten passt viel an Welt hinein, und Einzinger legt es in der behelfsweise als Roman bezeichneten Sammlung kurzer Erzählungen, die man früher vielleicht als Anekdoten oder Kalendergeschichten bezeichnet hätte, darauf an, immer noch ein bisschen mehr davon ins Buch zu hieven. Sein kompositorisches Prinzip ist die Anhäufung denkbar skurriler oder geradezu sensationell alltäglicher Geschichten, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten spielen, zwischen denen sich jedoch manchmal wie von selbst Verbindungen ergeben. Wenn man sich auf Reise durch Einzingers Universum begibt, ist es von Dschalalabad nach Bad Schallerbach eben nur ein Sprung. Nicht selten geht der Autor von Lesefrüchten aus, die er in den Beilagen regionaler Zeitungen oder in alten Folianten gefunden und eingesammelt hat. Dann hebt er an - und im Prinzip hält er es bei allen der rund 150 kauzigen und lehrreichen Geschichten, aus denen der Roman gebaut ist, ähnlich: „Es gibt, wie in Erfahrung zu bringen war, in ganz Österreich, wo die vorliegende, an manchen Stellen vielleicht etwas bizarr anmutende Arbeit verfasst worden ist, bloß zwei Mönche, die den Pilotenschein erworben haben . . . Einer der beiden lebt im Stift Melk, über den anderen sei an dieser Stelle noch nichts verraten. ”Die Vorstellung von frommen Fliegern, die kirchlich als Mönche und staatlich als Piloten lizensiert sind, ist amüsant, aber Einzinger nutzt sie vorderhand nur, um auf Melk zu sprechen zu kommen, wo die Gebeine des heiligen Kolumban aufbewahrt und verehrt werden. Dieser vortreffliche irische Mönch befand sich vor über tausend Jahren auf dem Weg nach Palästina und war unvorsichtig genug, in der Gegend von Melk zu übernachten; die rechtschaffenen Leute hielten ihn, ob seiner fremden Sprache, für einen Abgesandten des Teufels und knüpften ihn an einem Hollerbaum auf. Als dieser, wiewohl längst verdorrt, im nächsten Jahr zu blühen begann, erkannten sie ihren Irrtum und beschlossen, damit Kolumban sich nicht aus dem Jenseits an ihnen räche, den von ihnen Gemeuchelten als Heiligen zu verehren, dessen Fürsprache vor Gott noch heute viele erflehen; nicht nur in Österreich übrigens, sondern überall, wo die Todesstrafe praktiziert wird, denn Kolumban ist der Schutzheilige der Unglücklichen, die zum Tod verurteilt wurden. Solche Dinge erfährt man aus Einzingers Roman, in dem es eben um alles geht, um irische Heilige, kaukasische Ziegenhirten oder eine Zahnarztgehilfin, die sich den ganzen Roman über nicht entscheiden kann, mit ihrem Freund, der vom Kino träumt, zusammenzuziehen. Und natürlich geht es in diesem Kompendium des herrlich nutzlosen Wissens um Flugmönche - und um Grubenhunde. Denn die tollsten Phantastereien sind die reine Wahrheit, die verbürgten Geschichten aber hemmungslos erlogen. KARL-MARKUS GAUSS