Interviews und Porträts

7.6.2016 - buecherschau.at - "Bruchstücke und Abschweifungen - Heimo Mürzl

Virtuoser Arrangeur und eleganter Satzarchitekt: Der ewige Geheimtipp Erwin Einzinger

 

Der 1953 in der oberösterreichischen Provinz (Kirchdorf an der Krems) geborene Erwin Einzinger gehört zu den von Kennern und Kritikern geschätzten, von der breiten Öffentlichkeit aber viel zu wenig beachteten Schriftstellern. Das mag einerseits daher rühren, dass Einzinger mit seinen langen Veröffentlichungspausen nicht gerade marktkonform agiert, sich zurückgezogen lebend von tagesaktuellen Wortspenden ebenso fern hält wie vom sogenannten Literaturbetrieb und die Lektüre seiner Bücher mitunter ungeheuer fordernd, zäh und mühsam ist, wiewohl sie sich letztlich lohnt. Es ist neben dem Vergessen- beziehungsweise Nicht-Gelesen-Werden wohl das Zweitschlimmste was einem Schriftsteller passieren kann: Zum ewigen Geheimtipp zu werden.

 

Bei näherer Betrachtung

Halten wir uns lieber an den US-Schriftsteller Gore Vidal und dessen Bonmot, seine Kollegen „seien so sehr damit beschäftigt, große Schriftsteller zu werden, dass sie darauf vergäßen, gute Schriftsteller zu sein“. Erwin Einzinger ist ein guter Schriftsteller, ein genauer Beobachter, leidenschaftlicher Sammler, virtuoser Arrangeur, eleganter Satzarchitekt und stiller Poet. Den geradezu aberwitzigen Anspruch, die ganze gesellschaftliche Realität in ihrer globalen Totalität widerzuspiegeln und zu beschreiben und auf diese Weise sogenannte „große Romane“ zu schreiben, hatte Erwin Einzinger nie. Sein avantgardistischer Ansatz mit einer konsequenten Ablehnung von formalen Konventionen und dem Nebeneinander von Konstruktion und Imagination ließ seine Werke nie in die Nähe von erzählerischer Konfektionsware rücken.

Die Welt ist für Einzinger ein schönes Durcheinander und er wollte von Beginn an „löchrig schreiben und alles sogenannte Nebensächliche und Zufällige hervortreten lassen, während die großen und festen Umrisse bestenfalls den Hintergrund bilden“. So vermittelt er in seinen Büchern den Eindruck, dass bei näherer Betrachtung schlechthin alles, was man sieht, hört, erlebt und wahrnimmt und womit man sich beschäftigt, zu Literatur werden kann, wenn man nur genau genug, voll Empathie und mit großer Neugierde hinsieht, hinhört und sich einfühlt. Und so stellt man sich als verblüffter Leser nicht selten die Frage: Wie schafft er das bloß? Wie gelingt es Erwin Einzinger, aus Alltagseinzelheiten, aus der Fülle von Stimmungen, Eindrücken, Details, Figuren, flüchtigen Momenten und reichhaltigen Fakten ein literarisches Universum zu (er)schaffen, das nichts mit Realismus zu tun hat, und doch eine suggestiven Sog evoziert, dem man sich als Leser nicht zu entziehen vermag.

Der literarische Einfluss seiner Vorbilder Rolf-Dieter Brinkmann, William S. Burroughs und William Carlos Williams ist kaum wegzuleugnen – in der Tradition der Beat-Literatur wird scheinbar Nebensächliches, Alltägliches oder Selbstverständliches literarisch erhöht und die Welt wird als serielle Aneinanderreihung von Wahrnehmungen und Abfolge von Einzelheiten wiedergegeben, ohne konventionell-sinnstiftendes Erzählmodell, das dem Leser mit Geschichten und kontinuierlicher Handlung zur Seite steht. Einzingers Form ist eine Form der Bruchstücke und Abschweifungen, seine Poetik ist eine Poetik des Fragmentarischen und sein großes Können zeigt sich eben in der Addition von Details, Anekdoten, Assoziationsketten, Alltagsszenen, Erinnerungen und zusammengetragenem Faktenmaterial. Erwin Einzinger scheint mit dem Kleinen zu beginnen, um letztlich zum großen Ganzen zu gelangen.

 

Wortdrechsler und Satzarchitekt

Erwin Einzinger, der nach seinem Studium der Anglistik und Germanistik viele Jahre lang als Lehrer an einem Gymnasium arbeitete, begann seine schriftstellerische Laufbahn als Lyriker. Nach zahlreichen Veröffentlichungen in den Literaturzeitschriften „Salz“, „Projektil“ und „manuskripte“ erschienen seine gesammelten Gedichte 1977 als erste selbstständige Publikation unter dem Titel „Lammzungen in Cellophan verpackt“.

Erst sechs Jahre später erschien sein Prosadebüt „Das Erschrecken über die Stille, in der die Wirklichkeit weitermachte. Einundsiebzigundein Leben“, das auf beeindruckende Art und Weise zeigte, dass sich Einzinger weder in literarische Schubladen zwingen lässt, noch gewillt ist, sich der Logik und dem Veröffentlichungszwang des Literaturmarktes zu unterwerfen. Für den Schriftsteller Einzinger stand immer der Wunsch im Zentrum, seiner Idee vom Schreiben eine passende Form zu geben. Und er entschied sich früh für stilistische und formale Offenheit und gegen erzählerische Stringenz. Und für ungewohnt lange Veröffentlichungspausen. Das tat seiner Kunst keinen Abbruch und macht ihn bis zum heutigen Tag zu einer ebenso eigenwillig-konsequenten wie zurückhaltenden Ausnahmeerscheinung der österreichischen Literatur. Mit großer Demut und noch größerer Neugierde beobachtet er Menschen und Dinge, sammelt Eindrücke und Erfahrungen und fügt all das als Wortdrechsler und Satzarchitekt in Personalunion zu einen herausfordernden Erzählkosmos mit unvorstellbarem Detailreichtum und immenser Sogwirkung zusammen.

Dass sich kurzweilige Lektüre und anspruchsvolle Originalität nicht ausschließen müssen, beweist er mit seinem 1992 veröffentlichten Prosaband „Blaue Bilder über die Liebe“. Während er formal sehr pragmatisch agiert und dem alphabetischen Prinzip bei der Aneinanderreihung der Kapitel vertraut, erweist er sich erzählerisch in diesem Buch als echter Schelm mit bodenständigem Witz: „Sie brauchte ihn, damit er ihr die IKEA-Möbel zusammenbaute. Also lud sie ihn zum Schmusen und zum Basteln ein, und als die Kastenwand samt Regalen fertig dastand, schickte sie ihn wieder in die Wüste.“ Nachdem er die vorgefundene Realität in ihrer Vielfalt und Fülle nie zufriedenstellend abbilden kann, belässt es Einzinger bei bruchstückhaften Annäherungen und beobachtungsgenauen Anekdoten, die beim Leser neben bereichernden Lektürestunden auch für viele weiterreichende Anregungen und Anstöße sorgen.

 

Hakenschlagen im Informationsdickicht

Versucht man sich unter Einzinger-Lesern auf ein Opus magnum des heute in Micheldorf (Oberösterreich) lebenden Schriftstellers zu einigen, so fällt die Wahl stets auf sein 2005 veröffentlichtes Buch „Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik“, einem materialreichen Schmöker und gleichzeitig akribisch recherchierten und virtuos arrangierten Roman, der enzyklopädisches Wissen mit privaten Erinnerungen auf stimmige Art und Weise verknüpft und rund um ein gut dokumentiertes Faktengerüst – die zahlreichen Fußnoten im Buch dienen der Präzisierung und Vergewisserung – (Popkultur-/Musik-)Geschichte und -Geschichten zu einem großen Ganzen zusammenfügt. „Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik“ ist ein Buch, das ganz aus seinem Stoff heraus lebt und Einzinger findet einen ebenso eigenwilligen wie unterhaltsamen Weg, mühsam über viele Jahre zusammengetragenes dokumentarisches Material, persönliche Erfahrungen, Erinnerungen, Anekdoten und reine Erfindung miteinander zu verknüpfen und zu einer ausgefeilt-vollmundigen Komposition zu vereinen. Bemerkenswert ist nicht nur der Detailreichtum und die Faktendichte dieses Werkes (das Personenregister reicht von Peter Alexander über John Lennon und die Sex Pistols bis zu Frank Zappa – und innerhalb einer knappen Buchseite vermittelt er dem Leser seine Erkenntnisse über die Hautkrankheit „Grützbeutel“, einen Fahrradhändler aus Dublin, den Mississippi-Blues und den Grandseigneur des Northern Soul Van Morrison), sondern auch die nachgerade als geschmeidig zu bezeichnende Kompositionstechnik des oberösterreichischen Schriftstellers.

Wie Erwin Einzinger mit Witz und Verve eine Fülle von nützlichen und nutzlosen Informationen und Beobachtungen vor dem Leser ausbreitet, in diesem Informationsdickicht nicht nur nie den Faden verliert, sondern noch frech den einen oder anderen erzählerischen Haken schlägt und durch eine elegant-kunstvolle narrative Verknüpfung, die Sachbuchelemente und  die zahlreichen Erinnerungen und privaten Abschweifungen letztlich doch zu einem Roman zusammenführt, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Weil die Konstruktion dieses voluminösen Romans darauf abzielte, das Erinnern stärker und bewusster in den Fokus zu rücken und gegen das Vergessen anzuschreiben, bedurfte es für Einzinger jahrelanger Kleinarbeit auf der akribischen Suche nach winzigen Details und Querverbindungen. „Manchmal vergingen viele Jahre von einem bis zum nächsten Satz und ich war bisweilen am Verzweifeln, auch wegen der immensen Menge an Material“, meint Einzinger dazu, betont aber auch wie spannend, interessant und bereichernd die Arbeit an diesem Buch gewesen sei. „Immer weiter daran zu basteln, das Netz der Bezüge auszubauen und zu verdichten, vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen und doch nie das große Ganze aus den Augen zu verlieren, war nicht nur ein mühsames und langwieriges Unterfangen, sondern auch ein lustvolles Spiel.“ Einzingers Roman „Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik“ ist nicht nur ein informatives, anregendes und überaus unterhaltsames Buch, sondern zugleich der Anstoßgeber für weiterführende Assoziationen und Projektionen.

 

Der Lyriker Erwin Einzinger

In seiner Lyrik erweist sich Erwin Einzinger nicht nur als ein mit allen Wassern der Moderne, Postmoderne und Popkultur gewaschener Verseschmied, sondern als genauer Kenner der vorwiegend amerikanischen Avantgarde und der Beat Generation. Frank O‘Haras Befund, „dass schlechthin alles, was man sieht und womit man sich beschäftigt, wenn man es nur genau genug sieht und direkt genug wiedergibt“, zu Kunst werden kann, hat Einzinger in seine Lyrik ebenso einfließen lassen, wie er auch den Kernsatz der Poetik von William Carlos Williams beherzigt: „No ideas but in things“.

Einzingers 1977 erschienener und mit dem Trakl-Förderpreis ausgezeichneter erster Lyrikband „Lammzungen in Cellophan verpackt“ konnte sowohl von der Aufmachung her (eine Kombination von Bildern und Gedichten), als auch inhaltlich die Inspiration durch Rolf-Dieter Brinkmanns Gedichtsammlung „Westwärts 1&2“ nicht verhehlen. Der Poetik des Profanen und Fragmentarischen, die versucht, den Alltag, den Augenblick und somit das Leben und die Welt literarisch einzufrieren, blieb Einzinger auch in seinen weiteren, sehr unregelmäßig erscheinenden Gedichtbänden treu. Ob „Tiere, Wolken, Rache“ (1986), „Ein Messer aus Odessa“ (2009) oder „Barfuß ins Kino“ (2013), die (Prosa-)Gedichte Einzingers sehen und zeigen (Lebens-)Wirklichkeit mit anderen, mit Einzingers Augen und Worten.

Aus dem Einerlei und Allerlei des Alltags filtert Einzinger, nicht selten einem manischen Bewusstseinsprotokoll gleich, dann wieder von einer nüchternen Sachlichkeit und prosaischen Alltäglichkeit, funkelnde (Prosa-)Gedichte, die mit ihrer Klarheit und Frische bestechen. Biographischer Humus trifft auf dezente Metaphorik, den Rhythmus der Gedanken und Assoziationsketten bestimmen Erinnerungen mit Tiefenschärfe und eine reflektierte Sachlichkeit. Falls für die Qualität von Gedichten auch der Umstand ein Kriterium sein sollte, dass man auch als grundsätzlicher Lyrik-Skeptiker mit der Lektüre eines Lyrikbandes nicht mehr aufhören kann, dann ist Erwin Einzinger ein ganz vorzüglicher Lyriker. Das Lesen seiner Gedichte erfordert keine verzweifelten Dechiffriermethoden, ist anregend, stößt etwas an und löst etwas aus und macht – nicht ganz unwesentlich – auch Spaß.

 

Einzelheiten und Nebensächlichkeiten

Die Wirklichkeit existiert in Einzingers Literatur zwar nicht nur als begleitende Staffage, doch sind es vor allem Mitgedachtes und Gefiltertes, die sie transparent machen. So gelingt es diesem viel zu wenig bekannten Giganten der österreichischen Gegenwartsliteratur, aus Alltagseinzelheiten und Nebensächlichkeiten ein ganzes Universum zu schaffen. Die Poetik, der sich Einzinger verpflichtet fühlt, destilliert aus einem „Ansturm von Einzelheiten“ und zahllosen „Augenblicksblüten“ auch einmal einen „kirgisischen Western“ (so der Titel seines aktuellen Buches), der aber konsequent auf eine lineare Erzählstruktur und auf eine nacherzählbare Handlung mit konventionellem Aufbau und entsprechender Figurenzeichnung verzichtet.

Worin liegt nun Einzingers große Kunst und was macht die Literatur des Liebhabers wohlfeiler Formulierungen und Meisters des Abschweifens und Hakenschlagens nun so unverwechselbar? Seine große Meisterschaft zeigt sich am eindrucksvollsten in der stimmigen Addition von Details, Marginalien, verschachtelten Abschweifungen, frei mäandernden Assoziationen, flüchtigen, kurz aufleuchtenden Momenten, zahllosen Alltagsszenen und ihrer mühelos-eleganten Verknüpfung zu einem funkelnden Text-Ensemble. In seinem jüngsten Roman dienen ihm die Goldsuche und das Goldwaschen als Orientierung gebender roter Faden durch sein Geflecht aus unzähligen Episoden und skurrilen Begebenheiten, Anekdoten und Mythen. Halt gibt dem Leser auch die Struktur des Romans, der aus 51 Kapiteln besteht. Darüber hinaus muss er sich aber in einem Erzählgestrüpp aus vielfältig verschlungenen Geschichten, falschen Fährten und erzählerischen Finten zurechtfinden. Das tut man als Leser dieses „kirgisischen Westerns“ aber sehr gerne, ist dieses Buch doch von Anfang bis zum Ende nicht nur ein spannendes literarisches Unternehmen, sondern auch ein ebenso ausgeklügeltes wie unterhaltsames Leseabenteuer mit viel Sinn für Details und großer Freude am Formulieren: „Drei Tage lang schneidender Wind aus Nordwesten. In der Auslage des Optikerladens gegenüber hat der Dekorateur, der wahrscheinlich niemand anderer als der Sohn des altersdementen Geschäftsinhabers ist, diesmal aus irgendwelchen Gründen kleine handgearbeitete Strohpuppen platziert. Sein Neffe schickte ihm kürzlich eine Karte: Die Ferien gehen zu Ende, dennoch bin ich einigermaßen vergnügt.“

Erwin Einzingers Bücher sind funkelnde und erhellende literarische Anregungen, mehr noch, literarische Appelle, sich nicht mit einem vereinfachten, verzerrten und verkürzten Bild des Lebens und der Welt zufrieden zu geben, sondern neue Zugänge zu suchen, andere Eindrücke zu gewinnen und weitere Erfahrungen zu sammeln. In diesem Sinne möchte ich sie herzlich dazu einladen: Lesen sie die Bücher von Erwin Einzinger – Sie werden es nicht bereuen, ganz im Gegenteil!

„A song ain’t nuthin’ in the world but a story just wrote with music to it.”


20.11.2010 - Der Standard - "Die Einkünfte sind oft lachhaft" - Martin Prinz

 

Die Schriftsteller Erwin Einzinger und Martin Prinz im Gespräch über das Leben des Schreibens

Auszüge aus zwei Abenden der Veranstaltungsreihe "Doppelte Buchführung", die am 22. November, 19 Uhr, mit Thomas Stangl und Inka Parei in der Alten Schmiede fortgesetzt wird.

 

Lange war es still um Erwin Einzinger, den Lyriker, Übersetzer und Romanautor, der bereits in den 90er- Jahren aus der Österreichischen Literaturgeschichte kaum mehr wegzudenken war. Doch dass man sich bei einem Autor nicht täuschen soll, der bereits 1983 einen Erzählband mit "Das Erschrecken über die Stille, in der die Wirklichkeit weitermachte" betitelte, zeigte 2005 nicht nur der große Roman "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik", sondern auch die beiden seither erschienenen Gedichtbände ("Hunde am Fenster", 2008, "Ein Messer aus Odessa", 2009) sowie der heuer veröffentlichte Roman "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach".

Martin Prinz: Wie sehen bei Ihnen die Buchführungen von Arbeit und Leben aus?

Erwin Einzinger: Ich sollte vielleicht vorausschicken, dass ich mich als Schriftsteller in der privilegierten Situation befinde, die literarischen Einkünfte nicht zum direkten Überleben zu brauchen, weil ich 28 Jahre im Schuldienst abgedient habe und durch eine glückliche Wendung vor sieben Jahren in Pension gehen konnte. Es war gerade der Beginn eines Schuljahres, als ich damals von dieser Möglichkeit erfuhr. Ich glaube, es waren die Schularbeitenpläne für das laufende Semester schon in Planung, als mir mein älterer Bruder, der als Lehrer in Salzburg viele Jahre in der Personalvertretung seines Bundeslandes war und sich gesetzlich sehr gut ausgekannt hat, mir durch meine Frau, die auf der Durchfahrt zu ihren Eltern im Pinzgau war, ausrichten hatte lassen: "Es gibt da eine Gesetzeslücke, und theoretisch könnte der Erwin in wenigen Monaten den Schuldienst schmeißen."

Das sei aber, sagte er ebenfalls zu meiner Frau, natürlich nur ein Luftschloss, denn es wäre das Blödeste, was ich machen kann, auf die ganze Pension zu verzichten. Ich habe trotzdem durchgerechnet, wie viel Geld uns bliebe. Immerhin hatten wir am Haus noch Schulden, für die das Lehrerinnengehalt meiner Frau als Abdeckung dienen müsste, die über die Jahre natürlich wusste, wie wenig durch das Schreiben reinkommt. Wir riskierten es. Und jetzt bin ich seit sieben Jahren aus der Branche des Deutsch- und Englischlehrers an einer AHS in Oberösterreich ausgestiegen, bekomme als Pension 1.100 Euro im Monat für diese 28 Dienstjahre.

Prinz: So viel wie das Staatsstipendium, sozusagen.

Einzinger: Nur bekommt man das natürlich nicht regelmäßig, wie ich meine Pension. Und die literarischen Einkünfte selbst sind, vor allem, wenn es sich um Lyrik handelt, oft lachhaft. Ich habe eine aktuelle Abrechnung meines Verlages Jung und Jung über den Gedichtband "Ein Messer aus Odessa". Da habe ich 308 Euro 63 Cent verdient (lachend): 201 verkaufte Bücher. Freie Exemplare: 44. Belegexemplare: 63 - für die kriegt man nichts, glaube ich. Makulatur: 1 (lachend). Also mit 308 Euro 63 Cent springt man nicht sehr weit. Aber ich habe da noch etwas: Der Österreichische Rundfunk, Literatur, Hörspiel und Feature, hat mir 253 Euro 26 Cent für die Sendung "Nachtbilder" überwiesen. Da haben sie aus "Ein Messer aus Odessa" vorgelesen. Doch das war spät in der Nacht, ich habe es nicht gehört. Und dann habe ich 30 Euro von der "Presse" gekriegt, neulich. Die haben ein Gedicht von mir irgendwo aufgegriffen und abgedruckt - ein ganz ein kleines.

Prinz: War für die Entscheidung, in Pension zu gehen, dennoch pro Jahr eine gewisse Summe an literarischen Einnahmen notwendig?

Einzinger: Nein, auf Einkünfte durch die Literatur haben wir uns nicht verlassen können, aber wir haben gehofft, dass ich durch das Daheimsein mehr zum Schreiben komme und dadurch vielleicht auch mehr Lesungen habe. Und - es ist auch so, es ist tatsächlich so: 2008 habe ich einen Gedichtband veröffentlicht, 2009 ebenfalls, und jetzt, 2010, einen Roman fertig. Das hat es überhaupt noch nicht gegeben, dass ich in drei Jahren hintereinander etwas publiziert habe. Ich kann sagen, ich jubiliere nur, jedes Mal, wenn mich wer fragt, wie es mir geht, und ich erzähle immer wieder die ganze Geschichte, weil ich es als solch ein Glück empfinde, dass ich die Vormittage für mich habe; fürs Lesen, fürs Schreiben. Denn ohne dass ich das jetzt verklären will - aber es ist mir fast unfassbar, wie ich das all die Jahre neben der schulischen Arbeit hingekriegt habe. Jetzt kann ich mich jeden Tag dazusetzen, kann lesen und weitermachen. Ich hab sogar Angst, zu viel zu schreiben ... Denn ich hätte schon wieder neue Gedichte.

Prinz: Wenn Sie zurückschauen, taucht manchmal die Frage auf, ob Sie schon früher versuchen hätten sollen, vom Schreiben zu leben?

Einzinger: Es war einfach nicht drinnen. - Wir haben uns im Jahr '82 oder '83, als mein erstes Buch beim Residenz Verlag erschien, zu einem Hauskauf entschieden, über den ich nicht zuletzt, da er meinem Schreiben dient, immer sehr glücklich war. Aber dieser Hauskauf hat uns damals so verschuldet, dass mir mein jüngerer Bruder (nicht der Lehrer in der Personalvertretung, sondern ein Bankbeamter in meinem Heimatort) gesagt hat, er würde sich über die Kredite nicht drübertrauen, die wir da zurückzahlen müssen.

Davor hatten wir in Kirchdorf in einer Gegend gewohnt, wo ich schon beim Frühstück die Massen von Schulkindern vorbeigehen gesehen habe. Als wir das Haus in dem abgelegenen Seitental von Micheldorf fanden, war die Rechnung klar: Ich gehe in die Schule. Natürlich habe ich gehofft, dass es irgendeine Lösung gibt, zwei oder drei Jahre früher auszusteigen. Dass ich aber schon mit 50 aufhören konnte, war ein Glücksfall.

Prinz: Wie aber ist es dazu gekommen, dass ab Mitte der Neunziger von Ihnen zehn Jahre lang nichts erschienen ist? Hatte das mit den Übersetzungen zu tun?

Einzinger: Nein, nein. Die Übersetzungen haben mich nicht im eigenen Schreiben behindert. Im Gegenteil: Als ich Robert Creeley übersetzte, erklärte er mir einmal seine Form des Tagebuchschreibens in genau abgegrenzten Textblöcken. Etwa in der Zeit, es muss im Jahr 1993 gewesen sein, hatte ich ein Stipendium in Rom. Eigentlich arbeitete ich dort an einem Buch, das dann '95 erschienen ist, Das wilde Brot. Zugleich aber hatte ich mit der Keimzelle des zehn Jahre später erschienenen Buches "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik" begonnen. Ich fand ein Mathematik-Hausübungsheft einer römischen Schülerin auf der Straße.

Es war keine Adresse drinnen, somit habe ich gewusst, das kann ich nicht mehr zurückgeben. Ich habe es umgedreht und zuerst als Fahrtenbuch für meine Busreisen in der Gegend von Rom genommen. Bis ich mir vornahm, was Creeley für sein Tagebuchprojekt als Regel benutzt hatte: Ich werde ab nun immer genau eine Seite vollschreiben - ohne irgendein Thema oder irgendein Ziel. Das habe ich, halb aus Verzweiflung, weil mir nichts anderes einfiel, halb aus Spaß, ungefähr vier, fünf Jahre ins Blinde hinein verfolgt: hunderte von Texten, die überhaupt nichts miteinander zu tun zu haben schienen. Bis mir irgendwann auffiel, dass immer häufiger Exkurse in die Welt der Musik auftauchen. Worauf ich dachte, das wäre eine Möglichkeit, einen Faden zu finden, und die anderen Texte rauswarf.

Unterdessen war der Residenz Verlag aber in die Krise gekommen, und mein Verleger wurde gefeuert. Es hieß, er mache ein zu exklusives Wolkenkuckucksheim-Programm. Bücher, wie etwa ich sie schreibe. Daraufhin wollte auch ich weg von Residenz, hatte aber nicht kapiert, dass Jochen Jung ohnedies einen neuen Verlag gründen wollte. Und so handelte ich mir, bis Karl-Markus Gauß mich anschrieb, der bereits gehört hatte, ich hätte ein über Jahre entstandenes Manuskript fertig, an die zehn Absagebriefe von deutschen und Schweizer Verlagen ein. Er wollte es lesen und war so begeistert, dass er sagte, er wird notfalls einen Club gründen, damit das erscheint ... Davor aber war ich eigentlich bereits so weit, dass ich mir gedacht habe, das kann ich in die Schublade legen oder was weiß ich, wohin. Ich weiß noch, dem Beck Verlag habe ich, auf deren Anraten, das Manuskript zu kürzen, zurückgeschrieben: Ja, was soll ich denn kürzen? Ich habe eher noch sehr viel mehr!