Das wilde Brot

ROMAN

Augenblickstolle Gechichten und Nicht-Geschichten. So verrückt wie wir und alles um uns herum.

 

Was, um alles in der Welt, haben Heilige und Hunde miteinander zu tun? Was religiöse Erweckungsbestrebungen mit jazzartigen Rhythmen? Und was all das mit dem "wilden Brot", dem bei zahlreichen Völkern als heilig geltenden Gebäck?

 

Der Erzähler, gerade bei einem auf Devotionalien und sakralen Schmuck spezialisierten Versicherungsunternehmen tätig, geht diesen Verbindungen nach, von New York bis Rom. Doch wer sich eine fein gedrechselte Geschichte erwartet, wird enttäuscht. "Ich werfe mich dem verwilderten Erzählen in den Rachen wie einem gereizten Tier", heißt es mit schönstem Pathos an einer Stelle. In der Tat: Menschen, die immer ein wenig nach Schiffbruch aussehen, sei es nun ein geschwätziger Priester, eine Stripperin in einem halbseidenen Club oder der Bassist einer Eskimoband, geraten für Momente ins Zentrum einer Geschichte, die sich unvermittelt ergibt und gleich darauf wieder abbricht. Einzinger klittert Gesehenes und Gedachtes, Erlebtes und Erlesenes salopp wie immer, respektlos wie immer. Sein Interesse am Beiläufigen, Flüchtigen ist nicht zu übersehen. Und doch mischt sich in diese Polyphonie von Zeit zu Zeit eine ernste Stimme, die die Empörung über Unrecht und Gewalt in dieser augenblickstollen Wirklichkeit nicht zu unterscheiden vermag.

erschienen 1995 im

Residenz Verlag

ISBN:  [3-7017-0927-0]



REZENSIONEN

13.10.1995 - DIE ZEIT: Nr. 42 - "Hunde, Heilige und alte Nazis" - Klemens Renolder

Erwin Einzingers neuer Prosaband "Das wilde Brot"

 

"Geh doch Kirchenfenster waschen, dann wird dein Leben wieder bunt!" rät einer dem Langweiler, der eigentlich "Elektromusiker" werden will, damit auch er die "heimlichen Klagelieder der heutigen Männer" singen kann. Aber es mangelt dem Bengel an Elan zu neuem Lebensaufbruch, er steht bloß hilflos herum, verschwindet schon wieder von der Bildfläche, und irgendwann haut er wohl enttäuscht und verdrossen seine Stromgitarre in den Bach ...

 

"Das wilde Brot" nennt sich die Komposition poetischer Bruchstücke und Erzählfragmente,

in der Erwin Einzinger den Leser durch Himmel und Hölle stolpern, Botschaft von asketischen Mönchen und gottergebenen Märtyrern erhalten und über surrealistische Gebetstexte staunen läßt. Der von solch verwildertem Erzählen zerrüttete Text setzt mit einer ebenso schlichten wie fröhlichen Ouvertüre ein: Ein zum Schweigen verpflichteter Kartäusermönch schwadroniert am Wirtshaustisch vor sich hin und gefällt sich gegenüber dem Vertreter einer Versicherung in der Rolle als "faustische Natur". Bereits in seinem Roman "Kopfschmuck für Mansfield" (1985) versuchte Einzinger [..] die kurzen motivisch verklammerten Texte in eine musikalische Großstruktur zu integrieren. Diesmal läßt er jeglichen solistischen Eigensinn zu. Aufgezeichnet werden selbst winzige Störmanöver, wie etwa die Skizzen über jene Musik, die der Autor bei der Arbeit am Manuskript gehört hat. Im zweiten Kapitel "Hunde" gibt es viel Gekläff. "Achtung pflichtgetreuer Hund" schreibt der faschistoide Obsthändler auf das Schild vor seinem Jagdsitz. Die Wanderer in seinem Revier bedroht er mit einer blutrünstigen Dogge. Adolf Hitlers und Sigmund Freuds vierbeinige Lieblinge treten auf. Von stumpfen Hundefanatikern ist die Rede, von den verdreckten Kötern der Penner, vom schwarzen Pudel Mephistos, von Lassie. Ein Tier stolziert gar in Papstverkleidung daher. Und immer wieder: der Hund als Nazisymbol. Aus Rom berichtet der Erzähler im dritten Kapitel von seinen Wegen durch die Stadt, von Fahrten in umliegende Orte. Spaziergänge am Tiber - sie könnten von Botho Strauß geschrieben sein - ein Gespräch mit einer alten Wiener Jüdin, Träume Graffiti und die vielen "Oberflächenübersetzungen" italienischer Gebetstexte - Meisterwerke Surrealistischer Prosa. Immer wieder trifft der römische Chronist auf die Spuren von ranghohen österreichischen SS-Männern, die hier als beamtete Mörder tätig waren oder durch Vermittlung katholischer Institutionen nach Südamerika flüchten konnten. Doch selbst bei diesem Thema vermeidet Einzinger Kommentar und Empörung. Im Gegenteil: Er dokumentiert beinahe heiter jene globale Verwahrlosung, in der Menschen, fern von sozialem Bewußtsein und entrückt von geistigen oder gar religiösen Bestimmungen, in erbärmlichen Visionen Zuflucht suchen. Er ist ein ruhiger Beobachter des Gewöhnlichen, das traurig blüht.