GEDICHTE
Zu meinen Gedichten gibt es nicht viel zu sagen. Ich schreibe eher selten welche, und wenn, dann seltsamerweise meist gleich eine Menge davon, als wäre es eine Art Spiel, zu meinem eigenen Vergnügen. Worin dieses Vergnügen genau bestehen mag? Selbst das könnte ich nicht so ohne weiteres erklären, aber auf jeden Fall dürften Überraschung und Schönheit eine Rolle dabei spielen.
"Ich mag es, wenn sich in Gedichten etwas Verblüffendes ergibt, wenn die scheinbaren Zusammenhänge sehr schnell in Bewegung geraten", schrieb ich einmal, nachdem ich um ein paar diesbezügliche Äußerungen gebeten worden war. Aber auch das klingt ein wenig vage und ist es auch, aber mich zum eigenen Schreiben lang und breit zu äußern, betrachte ich nicht unbedingt als meine Aufgabe, die Gedichte selbst sollten eigentlich reichen.
Wer traut sich hinaus, wenn draußen die bösen Wetter niedergehen und nicht einmal die Hunde vor die Tür wollen? So seltsam es auch klingen mag: das Gedicht traut sich, wie es sich überhaupt fast alles zutraut, jedenfalls das von Erwin Einzinger gepuzzelte. Selten hat sich das Unvorhergesehene, Unerwartete, ja Unerhörte so geistesgegenwärtig zu Versen gefügt wie hier. Wer aufzählen wollte, was da jeweils ohne alle Umstände in einem Gedicht zusammenkommt, den würde man ziemlich ungläubig anschauen, bis man′s denn selber liest und denkt: mein Gott, gewiß, so ist die Welt, sie könnte schlimmer sein. Erwin Einzingers Gedichte, aufgeweckt, heiter und von brillanter Virtuosität, sind ganz auf der Höhe des Könnens dieses Autors. Und auf der Höhe der Zeit.
erschienen 2008 im Verlag
JUNG UND JUNG
ISBN: [978-3-902497-35-2]
Neue Gedichte von Erwin Einzinger
Dass «Hunde am Fenster» ein wenig länger und breiter als die meisten Gedichtbände ist, liegt vermutlich daran, dass die Gedichte des 1953 geborenen Österreichers Erwin Einzinger viel Stoff enthalten und sich den Platz nehmen, den sie brauchen, um sie selbst zu sein. Dichtung ist das Resultat von Verdichtung: Wenn diese hausbackene Formel irgendwo gilt, dann für Einzingers Texte, ganz gleich, ob sie in Poesie oder Prosa daherkommen - die Grenze ist bei diesem Autor ohnehin durchlässig. Dabei verdichtet Einzinger nicht nur die Sprache, sondern auch die Augenblicke und Tage, die er als seltsame Kondensate ins Buch stellt. «Bevor die Einzelheiten zu einem Knödel werden: die Fülle ver- / Ringern!» Dieser Satz aus dem Gedicht «Ab morgen wird alles anders» lässt vermuten, dass Einzinger die Dichte in der Werkstatt reduziert und die Sätze lockert, bevor er mit seinen Produkten herausrückt.
An den seltsamen, irgendwie glücklichen, oft aber auch komischen, leicht verrutschten Einzinger-Tagen geschieht nichts Besonderes, und dennoch erzählen die Gedichte, was das Zeug hält. Vieles davon kennt der Dichter vom Hörensagen, auch aus Zeitung und Fernsehen. Durch die Art, wie er Einzelheiten kombiniert, zeigt er, dass viel mehr in diesen steckt, als der gewohnheitsmässige Blick vermuten lässt: So kann «nichts Besonderes» zur unerhörten Begebenheit werden.
So manche Strophe hebt mit Chronistengeste in Kleistscher Manier an. Wie die Pop-Dichter der siebziger Jahre, in denen Einzingers Dichtung wurzelt, gebraucht er das kaufmännische Zeichen «&» statt der Buchstabenfolge «und». Diese Manier verweist auf die Technik des Collagierens, des oft harten, bei Einzinger durch allerlei sprachliche Tricks abgemilderten Aneinanderfügens von scheinbar disparaten Elementen. In dem Gedicht «Der Tag hat Flügel, also fliegt er auch» ist vom «momentanen Arrangement aus Einzelheiten» die Rede, und in «Die feinen Unterschiede» heisst es: «Im Grunde genommen ver- / Mag beinahe jeder Tag zumindest für Sekunden zur schimmernden / Perle zu werden, mit feuchten Wiesen, Tümpeln & dem einen oder anderen / Zauberfisch, der plötzlich hochschnellt, als wolle er mit seinem Maul / Nach einem blitzenden Krönlein in den Lüften schnappen . . .»
Wir sind geneigt, diese Erklärung metaphorisch zu verstehen, auch wenn Einzinger sich zumeist vor Metaphern hütet und seine Sätze auf die ureigene Dingbedeutung der Dinge einschwört. Der Prokuristenblick lässt in aller Sachlichkeit einen Zauber aufleben, und die blitzenden Krönlein sind wohl die Sätze, kompliziert gedrechselte Wendungen ebenso wie kleine Kunststücke und vorgefundenes Sprachmaterial. Komposita wie Seminarschlössl, Sternenhandschuh, Raketenmütze, Nerveninspektor & Kalkgesichte; lange nicht gehörte Wörter wie Knirps, Regionalismen wie Mohnflesserl, Strawanzer, abfotzen, schwanern, Wortfolgen wie «ein gut gepolsterter Chef», «eine klassische Adressentausch- Geschichte», «eine bauchfreie Jungmutter» und so weiter.
Die Gedichte haben, wenn schon keine Handlungen, so doch Schauplätze - oder genauer, sie konstruieren Schauplätze, Theater für winzige Szenen und flüchtige Bilder. Häufig liegen sie in der österreichischen Provinz, dann aber auch, sprunghaft und nahezu gleichzeitig, in Nordamerika oder sonst wo auf der Erdkugel. Am Ende ist es immer der Schauplatz des Gedichts, das Hier und Jetzt, das zwar real, aber trotzdem nirgendwo anzutreffen ist als auf der jeweiligen Seite des Buchs. Im Durcheinander der Ereignisse erklingt stets der Einzingersche Ton, ohne den die kunstvoll zusammengeschusterten Gebilde nicht funktionieren würden; jener Ton, der aus einer Mischung von Staunen und Wahrnehmungslust, Übermut und Liebe zum Schrägen, Bodenständigkeit und Weltoffenheit entsteht. So macht Einzinger seit nunmehr drei Jahrzehnten unbeirrt weiter, ohne sich um literarische Moden zu kümmern. «Weitermachen» ist übrigens eines der von ihm gern in den wunderlichsten Kontexten gebrauchten Wörter.